!NIE WIEDER – DER ERINNERUNGSTAG IM DEUTSCHEN FUSSBALL

JEDER MENSCH ZÄHLT – EGAL AUF WELCHEM PLATZ!

Am 27. Januar 2022 jährt sich zum 77. Mal jener Tag, an dem die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee befreit wurden. Daher gedenken wir der Opfer, der Überlebenden und ihrer Familien. Auch die Fußballfamilie erinnert jedes Jahr anlässlich des „Erinnerungstages im deutschen Fußball“ daran, dass Menschen aus ihren Reihen von den Nationalsozialist*innen verfolgt und ermordet wurden.

In diesem Jahr stehen Menschen mit Behinderungen im Mittelpunkt des Gedenkens. 200.000 behinderte Menschen, darunter über 10.000 Kinder, wurden von den Nazis ermordet. Man wollte sie aus den Augen haben, man wollte sie los sein. Euthanasie – „guter Tod“ – nannte man damals dieses Verbrechen.

Heute gibt es keine „Tötungsanstalten“ mehr. Aber dennoch erleben Menschen mit psychischen, geistigen und körperlichen Behinderungen jeden Tag Diskriminierung, Missachtung und Ausgrenzung.

Damit sich das ändert, möchten auch wir Verantwortung übernehmen für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Fußballgeschehen. Sie sollen an einem „Fußball ohne Barrieren“ gleichberechtigt teilnehmen können. Denn es darf nicht sein, dass sie sich als Menschen zweiter Klasse fühlen müssen und im täglichen Leben von Teilen der Gesellschaft auch so behandelt werden.

Das Grundrecht auf Teilhabe für Menschen mit Behinderung auf den Fußballplätzen, in den Stadien und an allen anderen Orten geht Jede*n persönlich an. Stück für Stück die Barrieren der Vorurteile, der Unsicherheit und der Gleichgültigkeit in unseren Köpfen und auf dem Platz abzutragen, ist eine immerwährende Aufgabe der Fußballfamilie. Wenn sie gelingt, gewinnen alle.

Wir als IVF Leipzig stehen hinter diesem Anliegen und unterstützen bei Bedarf unsere Projektvereine, bestehende Barrieren für Menschen mit Behinderung abzubauen.

Mehr Informationen: https://www.niewieder.info/


Ausführlicher Text zum „18. Erinnerungstag im deutschen Fußball“ an den Spieltagen um den 27. Januar 2022


Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von der „Roten Armee“ befreit. Die
Fußballfamilie greift dieses Ereignis seit 18 Jahren auf. Sie lenkt ihren Blick auf die Opfer dieses Menschheitsverbrechens.

An den Spiel- und Turniertagen um den 27. Januar 2022 gedenkt sie der ermordeten
Menschen, die auch Mitglieder ihrer Vereinsfamilien waren. Die Fußballfamilie erinnert sie daran, was den
ermordeten und überlebenden Häftlingen in Nazi-Deutschland angetan wurde. Auch der Schmerz der verwaisten
Familien ist nicht vergessen.
„!NieWieder“ Auschwitz, „!NieWieder“ Dachau…, das ist der Auftrag und die Bitte der überlebenden Zeitzeugen
an die „Nachgeborenen“. Als Fußballfamilie und als Bürgerinnen und Bürger stellen wir uns dieser
Verantwortung.

In Mitgefühl und Respekt erinnern wir daran: Von Januar 1933 bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945 wurden
Menschen im nationalsozialistischen Deutschland und seit dem 1. September 1939 in weiten Teilen Europas
ausgegrenzt, verfolgt und systematisch ermordet. Zu den Opfern zählten sechs Millionen Menschen
jüdischer Herkunft und 500.000 Menschen aus dem Volk der Sinti und der Roma. Ebenfalls müssen die
verschiedenen Gruppen genannt werden, die nicht in das Weltbild der Nationalsozialistinnen passten oder ihren politischen Plänen im Wege standen. Nur wenige von ihnen überlebten Konzentrations- und Vernichtungslager.

Damals

Auf dem Westfriedhof in Gelsenkirchen-Heßler liegt eine Grabplatte. Auf ihr stehen die Namen von NS-Opfern. Die Schalker Fan-Initiative hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichten dieser Menschen zu erforschen und zu erzählen. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ So steht es in alten jüdischen Schriften. Unter der Grabplatte in Gelsenkirchen liegen Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung von den Nationalsozialistinnen ermordet wurden. Sie entsprachen nicht dem krankhaften Selbstbild der „Herrenrasse“ und mussten deswegen aus dem „gesunden Volkskörper“ entfernt werden. Aus psychiatrischen Krankenhäusern, aus geschlossenen Heimen und aus der eigenen Familie wurden die Menschen in die „Tötungsanstalten“ transportiert. Über 200.000 sind dort ermordet worden, darunter
mehr als 10.000 Kinder. Diese Vernichtungsmethoden, der Tod durch Autoabgase und in Gaskammern, waren
der Beginn der späteren systematischen Massenmorde in den Vernichtungslagern. Das 1934 verabschiedete „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ war der erste Schritt zur Legitimierung dieser Mordaktionen an Menschen mit Behinderungen. 1939 folgte der Beschluss zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“. Euthanasie, „guter oder schöner Tod“, so bezeichnete man verschleiernd und zynisch diese Verbrechen. Das konnte auch deswegen geschehen, weil Ärztinnen und Pflegepersonal aus Überzeugung oder Gleichgültigkeit mitspielten. Wenige von ihnen mussten sich nach Kriegsende vor Gericht dafür verantworten. Wie die Überlebenden Sinti und Roma und die homosexuellen Menschen waren es auch die Menschen mit Behinderungen, die nach Kriegsende keine Wiedergutmachungsgelder erhielten. Erst in den 1980er Jahren hörten der Staat und die Gesellschaft ihnen zu, wenn sie ihr Leid erzählten. Eine der Konsequenzen, die aus diesem Zuhören folgte, war 2007 die Aufhebung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” durch den Deutschen Bundestag.

Heute

Wie tief verwurzelt die Abwertung von Menschen mit Behinderungen in Teilen der Gesellschaft noch heute ist, macht die Anfrage einer Partei im deutschen Bundestag aus dem Jahr 2018 deutlich. Sie wollte von der Regierung unter anderem wissen, wie viele behinderte Kinder in Deutschland aus Familien mit Migrationshintergrund kommen. Kinder aufgrund ihrer Behinderung und familiären Herkunft zu diskriminieren, knüpft nahtlos an nationalsozialistische Denkmuster an. Diese Verachtung und Ausgrenzung erleben Menschen mit psychischen, geistigen und körperlichen Behinderungen sowie ihre Familien jeden Tag. In ihrem Alltag türmen sich hohe „Barrieren“ auf. Diese zu überwinden, erfordert viel Mut. Jeden Tag jemanden um Unterstützung und Hilfe bitten zu müssen, zum Beispiel im Straßenverkehr oder beim Stadionbesuch, ist anstrengend. Es darf nicht sein, dass unsere Mitbürgerinnen befürchteten müssen, als Menschen „Zweiter Klasse“ angesehen und behandelt zu werden. Menschen auf ihre Behinderung zu reduzieren, ist anmaßend und verletzend. Das muss jeden Tag neu gelernt werden.

Was hat das alles mit dem „18. Erinnerungstag im deutschen Fußball“ zu tun?

Der Fußball bildet die Gesellschaft ab. Das „Spiel aller Spiele“ berührt die Menschen und bringt sie zusammen.
Die Fan-Initiativen, die Vereine, ihre Verbände und ihre Stiftungen mühen sich seit Jahren, den großen
Anspruch der „Teilhabegerechtigkeit“ umzusetzen.
Vereine bieten Training und Teams für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen an. Alle erleben,
wie bereichernd und gewinnbringend dieses „Zusammenspiel“ ist. Fanclubs mit behinderten Mitgliedern
leben diese Gemeinschaft auf Augenhöhe und nicht nur an den Spieltagen. Sie sind auch bundesweit in
der BBAG (BundesBehindertenfanArbeitsGemeinschaft) organisiert. Fans und Vereine übernehmen Patenschaften
für behinderte Fußballfreundinnen. Es gibt darüber hinaus viele Konzepte und Initiativen, die Barrierefreiheit im Stadion und auf den Fußballplätzen vorantreiben. In der „Blindenfußball-Bundesliga“ wird dieses Konzept beispielhaft in beindruckender Weise umgesetzt. KickIn!, eine deutschlandweit arbeitende Beratungsstelle für Inklusion, setzt sich für Vielfalt und Teilhabe aller Menschen im Fußball ein, unabhängig von Behinderung, von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Alter oder Glauben. Sie alle handeln im Sinne des „Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“. Der Leitgedanke dieser 2008 in Kraft getretenen UN-Konvention besagt: Die Menschen mit Behinderungen haben sich nicht der Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Die Mehrheitsgesellschaft hat die Voraussetzungen für eine gemeinsame Teilhabe zu schaffen. Dieser Lernprozess gelingt, wenn alle Mitglieder der Fußballfamilie daran arbeiten, die Barrieren im eigenen Kopf und in den Stadien und auf den Fußballplätzen zu erkennen, und sie im Sinne von Gerechtigkeit und Teilhabe klug und kreativ abzubauen. Dass das gelingt, hat mit dem „Lernen aus der Geschichte“ zu tun.

„Dass Auschwitz nie wieder sei“ heißt, dass die „Tötungsanstalten für die Menschen mit Behinderungen niemals mehr seien“. Wissen, Mitgefühl und Tatkraft sind die Bausteine, die aus diesem Lernen erwachsen. Zur Erinnerung: Es begann mit der freudigen Begrüßung der Nationalsozialistinnen durch die deutsche Gesellschaft.
Dann folgte die Ausgrenzung und Stigmatisierung, die Verächtlichmachung, die Entmündigung,
die Zwangssterilisierung, die Ghettoisierung, und endete mit der Ermordung in den Gaskammern. Das alles
tat man den Menschen mit Behinderungen und ihren Familien an.